iPad Pro 2020: Hinter Apples Werbung stecken leere Worte
Im Vergleich zum Vorgänger-Modell bringt das neue iPad Pro nur wenige Veränderungen mit sich - und dennoch setzt Apple damit ein klares Zeichen: Unter bestimmten Aspekten ist das iPad Pro durchaus eine attraktive Alternative zum klassischen Laptop. Warum Apples Vision vom Computer der Zukunft trotzdem nicht realistisch ist. Ein Kommentar.
„Dein nächster Computer ist kein Computer.“ Diesen Werbeslogan benutzt Apple sowohl auf seiner Webseite, als auch in den offiziellen Videos, die das neue iPad Pro bewerben. Auf den ersten Blick scheint dieser Slogan inhaltlich genauso aussagekräftig wie Apples alter Werbespruch „Wenn du kein iPhone hast, dann hast du kein iPhone“.
Was aber zunächst als banale Aussage eines der weltweit erfolgreichsten Unternehmen aussieht, ist in Wahrheit ein Ausblick auf die Zukunft von Apples Produktstrategie. Wenn mein nächster Computer kein Computer ist, was ist er dann?
iPad Pro 2020: Ein neues, altes Tablet
Das iPad Pro 2020 unterscheidet sich nur marginal von seinem Vorgänger. Auf der Geräte-Rückseite befindet sich ein neues Kamera-System, welches wir bereits vom iPhone 11 und iPhone 11 Pro kennen. Der einzige Unterschied: Anstatt drei Kameras verbaut Apple lediglich zwei und spendiert dem neuen iPad Pro dafür noch den neuen LiDAR-Scanner, der vor allem bei AR-Anwendungen zum Einsatz kommt. Die Performance ist vergleichbar mit der des Vorgängermodells aus dem Jahr 2018, auch wenn Apple hier und da einige Verbesserungen vorgenommen hat. Die Akku-Leistung ist gleich geblieben, was durchaus bemerkenswert ist, da Apple den Akku verkleinert hat. Darüber hinaus ist nun Wi-Fi 6 mit an Bord, die Grafikeinheit bekommt etwas mehr Power und in den Geräten steckt mehr Arbeitsspeicher. Welche Neuerungen Apple dem iPad Pro 2020 sonst noch spendiert hat, sehen Sie in unserem ersten Test-Bericht:
Mit dem neuen iPad Pro will Apple einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft ohne Laptops gehen. Was das neue iPad Pro so kann, was Apple verändert hat und ob sich ein Upgrade von einem älteren iPad-Modell lohnt, erfahrt ihr in diesem Video, in dem wir Christian Kauz von Gravis zu einem ersten Testbericht befragen.
Davon mal abgesehen, hat Apple an der Hardware nicht allzu viel verändert. Wie nun vertrauenswürdige Quellen sogar bestätigt haben, sind die aktuellen Modelle doch nicht, wie zunächst angenommen, mit einem U1-Chip ausgestattet . Ohne die aktuelle iPad-Pro-Generation schlecht reden zu wollen, ist der Technik-Sprung vom 2018er- zum 2020er-Modell nicht allzu groß. Für all diejenigen Nutzer, die bereits ein iPad Pro aus dem Jahr 2018 besitzen, kommt ein Upgrade nur dann in Frage, wenn man das Neueste vom Neuen haben möchte oder man unbedingt eine Ultraweitwinkelkamera sowie den neuen LiDAR-Scanner zu brauchen meint. Alle anderen iPad-Nutzer können jedoch durchaus ein Upgrade in Betracht ziehen.
Warum Apples Strategie (noch) nicht aufgeht
Wenn Apple uns sagen möchte, dass unser nächster Computer kein Computer ist, dann meint Apple damit lediglich, dass unser nächster Computer ein Tablet sein wird, welches laut Definition kein Computer im klassischen Sinne ist, weil es mit den Fingern oder einem Stift bedient werden kann und zudem keine feste Tastatur verbaut ist.
Nun verschwimmen mit dem neuen iPad Pro, seinem neuen Zubehör und in Kombination mit dem neuen iPadOS die Grenzen zwischen Tablet und Laptop ziemlich stark. Das iPad Pro bleibt immer noch ein Tablet, welches aber mit dem entsprechenden Zubehör in ein technisches Gerät verwandelt werden kann, welches von der Bedienung her am ehesten mit einem Laptop zu vergleichen wäre. Ein Macbook bleibt stets ein Laptop. An diesem Zustand wird sich nichts ändern, da kann man noch so viel Zubehör kaufen, wie man möchte. Mit der neuen Magic-Tastatur bringt Apple ohne Frage das coolste iPad-Case mit integrierter Tastatur und Trackpad auf den Markt, das ich seit Langem gesehen habe. Das iPad Pro “schwebt“ über der Tastatur, man kann den Betrachtungswinkel wie bei einem Laptop stufenlos einstellen, die Tastatur ist beleuchtet und kommt mit einem Scherenmechanismus mit 1mm Tastenhub für „ruhiges, direktes Tippen“. Zudem kann die Tastatur über einen separaten USB-C Anschluss aufgeladen werden, sodass der Anschluss am iPad Pro für anderes Zubehör frei ist. Doch es gibt einen Haken.
Für das Magic Keyboard verlangt Apple beim 12,9-Zoll-Modell rund 400 Euro. Möchte ich dieses plus ein 11 Zoll großes iPad Pro in der Basis-Ausstattung sowie einen Apple Pencil nutzen, muss ich insgesamt 1.414 Euro auf den Tisch legen. Will ich mehr Speicherplatz haben, steigt der Preis noch weiter an. Ist es mir das Wert? Eher nicht. Zumindest dann nicht, wenn ich für das gleiche Geld auch ein Macbook bekommen könnte und ich ein Gerät benötige, mit dem ich täglich mehrere Stunden arbeiten muss. An wen richtet sich also Apple mit dem Spruch: „Dein nächster Computer ist kein Computer“?
Mein nächster Computer ist ein Computer - und kein iPad
Wenn man sich Apples Werbevideos genau anschaut, lassen sich zwei Zielgruppen feststellen, auf denen der Slogan zutrifft: Studierende sowie Kreative. Leute, die ab und zu mal eine Mail schreiben, eine Präsentation vorbereiten müssen, Chatten, Vorlesungen nach- und vorbereiten, zeichnen oder vielleicht mal ein kurzes Video schneiden müssen. Natürlich soll das nicht heißen, dass andere Zielgruppen oder Personen mit dem iPad Pro samt Zubehör nicht gut arbeiten könnten - es hat aber einen Grund, weshalb keine Berufsgruppen gezeigt werden, die einen höheren IT-Anspruch haben. Apple versucht mit allen Mitteln ein iPad als einen Laptop-Ersatz zu verkaufen. Am Ende habe ich aber trotzdem nur ein iPad, welches bestimmte Mac-Funktionen nachahmt, aber nicht mit dem gleichen Nutzererlebnis ausführen kann. Wenn ich als Redakteur einen Artikel verfasse, ist dafür nicht nur ein Schreibprogramm notwendig. Neben Word oder Pages brauche ich auf dem Mac mehrere Browser-Tabs oder besser noch Fenster auf verschiedenen Schreibtischen oder sogar separaten Bildschirmen, ein Mail-Programm, ein Bildbearbeitungsprogramm, die Notizen-App, mehrere Chat-Programme und vieles mehr und der Wechsel zwischen all den Anwendungen soll möglichst schnell und intuitiv erfolgen. iPadOS bietet zwar eine Reihe an Features, die das Arbeiten auf dem iPad so leicht wie möglich machen sollen wie auf einem Mac, doch sind dem iPad-Nutzer doch Grenzen gesetzt. Das ist jedoch nicht nur nur Apples Schuld.
Photoshop ist das beste Beispiel dafür , warum ich lieber auf dem Mac arbeite als auf dem iPad. Zwar ist vor Kurzem die iPad-Version erschienen, diese ist jedoch noch lange nicht so umfangreich wie die Desktop-Version. Der Workflow auf dem iPad mag zwar für das Tablet optimiert sein, wenn man jedoch das Programm auf einer anderen Plattform kennengelernt hat, frustriert die Umstellung schnell. Apple kann die Grundlagen noch so einfach und intuitiv gestalten, wenn die App-Entwickler es nicht schaffen, ein vergleichbares Produkt vom Mac auf das iPad zu konvertieren, stellt sich für den alt eingesessenen Mac-User nicht die Frage, ob der nächste Computer vielleicht ein iPad werden könnte. Ich will gar nicht abstreiten, dass es da draußen jede Menge Berufe oder Anwendungszwecke gibt, für die das iPad Pro mit Magic Keyboard und Apple Pencil sinnvolle Arbeitsmittel sind. Fragen Sie sich aber mal, ob Sie selbst oder Familienangehörige in Ihrem derzeitigen Job von jetzt auf gleich auf ein iPad wechseln würden. Vermutlich eher nicht. Weil man es anders gewohnt ist und der Umstieg Zeit und Aufwand bedeutet. Diese zwei Begriffe passen eigentlich so gar nicht in Apples Unternehmensphilosophie. Die Nutzung von Apple-Produkten soll intuitiv erfolgen und am Ende Zeit sparen und nicht kosten. Die iPadOS Features sind toll, mit dem Apple Pencil (und gewiss auch mit dem Magic Keyboard) lässt es sich gut arbeiten und spielen - für einen ganzen Arbeitstag würde ich aber nicht auf ein iPad umsteigen wollen, da bleibe ich lieber meinem Mac treu. Das neue iPad Pro in Kombination mit dem Magic Keyboard, Apple Pencil und iPadOS zeigt, wie es in Zukunft aussehen könnte. Es ist Apples Vision vom Computer der Zukunft, der für manche von uns bereits jetzt Realität sein kann, sofern die Ansprüche nicht allzu hoch gesteckt sind. Für die meisten von uns sind diese leider - und dafür hat Apple selbst gesorgt - sehr hoch, da ein Mac mit macOS und den entsprechenden Programmen das Arbeiten so angenehm macht und mittlerweile für uns selbstverständlich ist. „Dein nächster Computer ist kein Computer.“ Doch Apple, solange der Umstieg vom Mac auf ein iPad ein Kompromiss und kein vollständiger Mac-Ersatz ist, bleibt mein nächster Computer ein Computer - und kein Tablet. Für mich, und wahrscheinlich auch für viele andere Nutzer, stecken hinter Apples verwirrender Werbeslogan daher nur leere Worte.
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